Die geschlossene „Curanstalt Inselbad bei Paderborn“ (1878-1912)

Handel & Verkehr & Dienstleistungen

Kurhaus, Ansichtskarte um 1900 (StA Paderborn, M 1 Ansichtskartensammlung, Klassifikationsgruppe 5, Inselbad)

Zum 1. Februar 1878 übernahm der aus Köln stammende Dr. Brügelmann[1] das Inselbad, zuerst als Pächter, ab dem 30. März 1881 dann als Eigentümer. Dr. Brügelmann hatte bereits in Köln eine Lungenheilanstalt geleitet und beabsichtigte nun, das Paderborner Inselbad zu einer großen Kureinrichtung mit überregionaler Strahlkraft zu entwickeln. Sein Konzept unterschied sich wesentlich vom bisherigen. Um das konfliktträchtige Nebeneinander von Kur und öffentlichem Badebetrieb zu beenden, schloss Brügelmann das Schwimmbassin, den Park und die Gastwirtschaft für das allgemeine Publikum. Des Weiteren erwarb er den benachbarten Turnplatz von der Stadt Paderborn und integrierte ihn in die Parkanlage. Das Sanatorium verfügte über ein repräsentatives Kurhaus, das die Bäderarchitektur seiner Zeit wiederspiegelte. Es beinhaltete Gesellschaftsräume, Speisesäle, ein Lese und ein Billardzimmer, Büros sowie das Sprechzimmer des behandelnden Arztes. Über eine 140 m lange, überdachte und windgeschützte Kolonnade gelangte man zum eigentlichen Badehaus mit Behandlungsräumen und unbeheizten Gästezimmern. Im Untergeschoss befanden sich die Einrichtungen für Bäder mit unterschiedlichen Zusätzen, für Moorbäder (Meinberger Moor) und elektrische Lichtbäder sowie ein Gymnastikraum. Das medizinisch therapeutische Angebot umfasste die Behandlung von Lungentuberkulose, Asthma, Nervenkrankheiten, inneren Krankheiten, Affektionen der Schleimhäute, Gicht sowie harnsaurer Diathese. Die Eröffnung des Sanatoriums war noch entsprechend der traditionellen Badesaison auf den 10. Mai 1878 terminiert. Brügelmann dehnte aber den Kurbetrieb, der sich bislang nur über die Frühlings und Sommermonate erstreckt hatte, über das gesamte Jahre aus und verbesserte damit die wirtschaftliche Grundlage. Nach eigener Aussage gab es im Deutschen Reich mit den Görbersdorfer Anstalten und der Heilanstalt Falkenstein/Taunus nur noch zwei vergleichbare Einrichtungen. Die Aussage scheint sehr hoch gegriffen, aber immerhin zeugen zahlreiche Erwähnungen in einschlägigen Bäderführern und Fachpublikationen jener Zeit von der überregionalen Bekanntheit des Sanatoriums.[2] Brügelmanns Konzept erwies sich als betriebswirtschaftlich tragfähig. Die Zahl der Gäste stieg laut Westfälischem Volksblatt vom 30. August 1881 auf 218 Kur und Badegäste; in jüngster Zeit hätten 23 zum Teil sehr renommierte Ärzte ihre Patienten nach Paderborn überwiesen, darunter auch russische Aristokraten. Die Herbstsaison galt mit Konzerten der Militärkapelle des 181. Infanterieregiments als besonderer Höhepunkt.

 

Obwohl die Paderborner Bevölkerung durchaus vom Kurbetrieb finanziell profitierte, erwähnt seien nur die Übernachtungen zahlreicher Kurgäste in der Stadt, der private Transportservice zwischen Bahnhof und Sanatorium oder auch das Steueraufkommen der Einrichtung, gestaltete sich das beiderseitige Verhältnis problematisch. Die Paderborner Bevölkerung wie auch der Magistrat kritisierten heftig das geschlossene Konzept, welches auch Exklusivität im wörtlichen Sinne abzielte. Das Volk durfte nicht mehr baden. Problematischer sollte sich die Einleitung übelriechender städtischer Abwässer auf die nahe gelegenen Rieselfelder auswirken, da sie den Kurbetrieb ernstlich gefährdeten. Dabei hatte die Stadt vertraglich am 23. Juni 1886 zugesichert, keine Fäkalien in den Berieselungsgraben zu leiten und die Abwässer des Schlachthofes auf ferner gelegene Wiesen zu leiten. Im Antwortschreiben vom 29. Juni 1886 erklärt Brügelmann dem Paderborner Bürgermeister, dass er mit der Anlage nur unter diesen Bedingungen einverstanden wäre. Da die Stadt ihre Zusage nicht eingehalten hatte, zog Dr. Brügelmann seit 1887 gegen die Stadt Paderborn vor Gericht.[3] Im Laufe des langjährigen Rechtsstreites kamen weitere Streitpunkte zur Sprache. So beschwerte sich Brügelmann über die erheblichen Geruchsbelästigungen, die von dem in der Nähe errichteten städtischen Schlachthaus am Tegelweg ausgingen. Zudem hätten städtische Baumaßnahmen die Marienquelle versiegen lassen und auf diese Weise die betriebswirtschaftliche Existenz der Anstalt gefährdet. Verschiedene Gutachten sollten Klarheit in diesen Punkten verschaffen. Der Prozess durchlief mehrere Instanzen, das endgültige Urteil wurde 1907 gesprochen. Das Königliche Landesgericht Paderborn gab Dr. Brügelmann erstinstanzlich Recht. Im letztinstanzlichen Urteil sprach das Oberlandesgericht Hamm am 9. November 1906 Dr. Brügelmann eine Entschädigungszahlung durch die Stadt Paderborn in Höhe von 51.541 M zu.[4] Dabei handelte es sich im Vergleich zu ähnlich gelagerten Streitfällen in jener Zeit um eine sehr beachtliche Summe.

Bereits 1900 hatte Brügelmann einen Schlussstrich unter die für ihn so belastende Angelegenheit gezogen. Er verkaufte das Sanatorium an den aus Dessau stammenden Apotheker Hermann Fischer, der jedoch bereits nach wenigen Monaten am 14. August 1900 verstarb. Seine Witwe Gertrud Fischer führte den Betrieb bis zum 31. Juli 1906 fort. Sie ließ einen Tennisplatz anlegen und vergrößerte den Park mit altem Baumbestand, zahlreichen Lauben sowie einem Teich auf 27 Morgen.[5]

 

Park, kolorierte Ansichtskarte um 1900 (StA Paderborn, M 1 Ansichtskartensammlung, Klassifikationsgruppe 5, Inselbad)
Park, kolorierte Ansichtskarte um 1900 (StA Paderborn, M 1 Ansichtskartensammlung, Klassifikationsgruppe 5, Inselbad)

Das Freizeitangebot wies ein reichhaltiges Spektrum auf, welches Kahnfahrten, Tennis, Boggia, Croquet, Turnen, Radfahren, Gartenarbeit, Kegeln, Federball, Ballspiele, Angeln und Konzerte umfasste. Weitere Investitionen brachten das Sanatorium auf den seinerzeit modernen Stand der Technik. Das mit elektrischer Lichtanlage und Zentralheizung ausgestattete Haupthaus verfügte über ein Billardzimmer, eine Bibliothek, einen Speisesaal und 50 Gästezimmer. Über den 140m langen, windgeschützten, ebenfalls elektrisch beleuchteten Wandelgang gelangte man zum Badehaus. Hier mündete in der Trinkhalle die Ottilienquelle. Im zweiten Stock befanden sich unbeheizte, daher nur im Sommer bewohnte Logierzimmer sowie die Privatwohnung des dirigierenden Arztes. Des Weiteren fanden sich hier die medizinische Abteilung mit einem modernen Röntgenkabinett und Apparaten für elektrische Lichtheilverfahren.

 

Von den ursprünglich drei Quellen wurde nur noch die Ottilienquelle für Kurzwecke verwendet. Ein um 1900 gedrucktes Prospekt pries die zahlreichen Vorzüge des Sanatoriums. Als „erste und hervorragendste Specialanstalt für Asthma in Deutschland“ böte es Therapien für etliche Lungenkrankheiten wie Asthma, Emphysem, chronischer Bronchialkatarrh und Residuen von Lungen und Brustfellentzündungen. Auch die damalige „Modekrankheit“ Nervosität in Folge geistiger Überarbeitung und in Form von funktioneller Neurosen, Neurasthenie oder Hysterie könnte gelindert werden. Des Weiteren stünden Frauenleiden, Herz und Kreislauferkrankungen, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes, Fettsucht oder auch Anämie, Verdauungsprobleme, Fehlfunktionen von Blase und Niere auf dem Behandlungsplan.
Der ganzheitliche Therapieansatz gewähre auch allgemein Erholungsbedürftigen Aussicht auf einen erfolgreichen Kuraufenthalt. Seit Ende des 19. Jahrhunderts bot das Sanatorium keine Inhalationskuren mehr an, sie wurden durch Therapien im Soledunstzimmer ersetzt. Ab 1903 wurden auch keine Fälle von offener TBC behandelt. Ein dauerhafter wirtschaftlicher Erfolg war Gertrud Fischer trotz aller Bemühungen nicht beschieden. Dafür spricht u. a. der Hinweis in der 1903 vom „dirigierenden Arzt“ Dr. Heim verfassten Schrift anlässlich des 25 jährigen Jubiläum auf die dringende Notwendigkeit, die Qualität des Inselbades den überweisenden Ärzten und potentiellen Kurgästen vorzustellen. Bereits zum 31. Juli 1906 sah sich Gertrud Fischer gezwungen, das Sanatorium an den Unternehmer Josef Postinet aus Duisburg Ruhrort zu verkaufen. Dieser veräußerte vermutlich aufgrund finanzieller Zwänge das Gelände zwischen Pader und Rothe an den Landkreis, der dort 1908 ein Gebäude für eine Winterschule errichtete. Allerdings nahmen die Probleme weiter zu. Laut einem Beschluss des Regierungspräsidenten vom 18. Juli 1907 erhielt die „Curanstalt Inselbad“ wegen baulicher Mängel keine Konzession. Offenkundig hatten die finanziellen Nöte weitere Investitionen nicht erlaubt. Aber der Inhaber Josef Postinet weigerte sich, die Auflagen der Behörden zu akzeptieren. Hinzu kam, dass die Paderborner Kreissparkasse als Inhaberin der ersten Hypothek angesichts eines eingetragenen Schuldenberges von 300.000 M den Antrag stellte, das Sanatorium unter Zwangsverwaltung zu stellen.[6] Vor diesem Hintergrund kaufte im Februar 1908 die vorherige Besitzerin Gertrud Fischer das Sanatorium zurück, willens die behördlichen Auflagen zu erfüllen. Offiziell führte sie seit dem 1. Juli 1908 wieder die Geschäfte.

Um die betriebswirtschaftliche Basis solide zu gestalten, gründete Gertrud Fischer die „Ottilienquelle GmbH zu Paderborn (in Gründung begriffen)“ am 28. September 1909. Ihr Zweck war der Ausbau des Heil- und Tafelwassergeschäfts und der Vertrieb im In und Ausland. In der Investorenbroschüre unterstrichen die Initiatoren die lange Tradition der Ottilienquelle und die hohe Qualität ihres Wassers. Die Quelle unterliege keinem Einfluss von Regen oder langanhaltender Trockenheit. Der Gehalt an Kieselsäure im Quellwasser sei außerordentlich gering, was auf nur wenige organische Substanzen und damit eine lange Haltbarkeit des Mineralwassers hinweise. Als Gründungsgesellschafterin brachte Gertrud Fischer ein 2 Hektar großes Areal mit der Ottilienquelle und dem Schwimmbecken, das Hauptgebäude, das Maschinengebäude mit einer 15 PS Dampfmaschine, eine Halle mit der Abfüllvorrichtung für 10.000 Flaschen pro Tag, das Flaschenlager sowie 200.000 Mark in die Gesellschaft ein. Die übrigen Gesellschafter sollten 400.000 M einbringen, die auf dem Sanatorium lastende Hypotheken übernehmen und einen Betriebsfond über 340.000 M speisen. Angeblich betrug der bisherige Jahresgewinn entsprechend einer Verzinsung von 100.000 M. Als Ziel wurden die Abfüllung und der Vertrieb von 5 Mio. Flaschen pro Jahr ausgegeben. Der maximale Ausstoß sollte bei 8 Mio. Flaschen liegen und einen Jahresprofit von 150.000 M einbringen.

Über die tatsächliche Entwicklung liegen derzeit keine genauen Zahlen vor. Immerhin weisen Auslieferungslager in Soest, Werl, Delbrück und die dokumentierte Direktversorgung ins Sauerland nach Arnsberg, Winterberg, Bestwig, Olsberg und Brilon auf einen überregionalen Absatzmarkt hin. Nachdem die Füllanlage am 27. März 1945 vollkommen zerstört wurde, konnte das Füllhaus bis 1948 wieder errichtet und der Betrieb wieder aufgenommen werden. Abfüllung und Vertrieb der Ottilienquelle wurde 1965 eingestellt.

Alle Maßnahmen vermochten aber die Curanstalt Inselbad nicht in ruhige wirtschaftliche Fahrwasser zu führen. Am 7. März 1912 verkaufte Gertrud Fischer den Betrieb schließlich an den Landrat von Laer, der dann im September desselben Jahres die Schließung des Inselbad Sanatoriums veranlasste.

 

[1] Dr. Wilhelm Brügelmann; geb. 13.5.1845 in Cromfort bei Düsseldorf; gest. unbekannt; 1878-1899 wohnhaft in Paderborn, Fürstenweg 278; 1899 Umzug nach Berlin, Südende.

[2] Stellvertretend für andere sei hingewiesen auf: Bäder Almanach. Mittheilungen der Bäder, Luftkurorte und Heilanstalten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den angrenzenden Gebieten für Ärzte und Heilbedürftige. 7. Aufl., Berlin 1898, S. 502-503. Weitere Nachweise im Quellenverzeichnis.

[3] Schreiben Brügelmann an Magistrat der Stadt Paderborn, 5.6.1887 (StA Paderborn, A 1726).

[4] Hierzu ausführlich die Prozessakten „Brügelmann I und II (StA Paderborn, A 1726 und 1727).

[5] Rund 67,5 ha.

[6] Paderborner Anzeiger, 25.12.1907 unter Berufung auf die Kölner Volkszeitung.

Mehr erfahren über die Geschichte der Ottilienquelle

Aufsatz downloaden

Dies ist ein Auszug aus einem Aufsatz der Historikerin Jana Völkel und des Historikers Prof. Dr. Peter Fäßler. Der Originaltitel des Aufsatzes lautet: "Die Ottilienquelle, das Inselbad und die 'Curanstalt Inselbad bei Paderborn'. Eine Dokumentation". Sollten Sie weiteres Interesse an der Historischen Entwicklung der "Curanstalt Inselbad Paderborn" haben, empfehlen wir Ihnen den vollständigen Aufsatz (PDF-Datei) herunterzuladen.

Zum Kontaktformular

Haben Sie ein noch nicht erwähntes Thema in Bezug zur Pader entdeckt? Wir würden uns freuen, wenn Sie mithelfen "Licht ins Dunkel" zu bringen. Schicken Sie uns deshalb gerne Ihre eigenen Artikel rund um die Pader zu!