Die Neuhäuser Walkmühle

Gewerbe & Handwerk

Neuhaus, Walkmühle vor 1926 (Stadt- und KreisA Pb, Repro einer Ansichtskarte,S-M4, Altertumsverein Paderborn)

Zu den architektonischen Relikten des frühneuzeitlichen Textilgewerbes gehört heute die Neuhäuser Walkmühle.[1] Ihr Bau wurde vermutlich im Zuge der Schlosserweiterung von Ferdinands Großonkel Dietrich von Fürstenberg (amt. 1585-1618) in den 1590er Jahren angeordnet. So zahlte im Rechnungsjahr 1596/97 der Pächter der „Walcke Mühle zum Neuwenhauß“ wie in den Folgejahren 5 Schillinge und 3 Pfennige in die fürstliche Renteikasse. Die Existenz eines barocken Gründungsbaus aus dem Jahr 1716, wie er in der älteren Literatur vorgeschlagen wird, erscheint damit fraglich zu sein.[2] Die zunächst nur eingängige Wassermühle, deren Rad ein Pochwerk zum Walken antrieb, lag nach dem Jesuitenplan des Johannes Grothaus S. J. noch um 1680 rund einen Kilometer vor dem Neuhäuser Ortseingang an der sogenannten „Mühlenpader“.[3] Dieser künstliche Wassergraben wurde mittels eines „oberen Flutwerk[s]“ (Stauwehr) aus jenem Altarm der Pader abgezweigt, der seit dem 18. Jahrhundert als „Kleine“ oder „Trockene Pader“ bezeichnet wird. Wann und von wem dieser Mühlengraben angelegt worden ist – seinen geraden Verlauf bezeugt noch das preußische Urmesstischblatt von 1837 –, ist leider unbekannt. Mutmaßlich dürfte die Mühlenpader bereits die erste Neuhäuser Getreidemühle angetrieben haben, deren Müller in einer spätmittelalterlichen Ämterrechnung 1445/47 als Bediensteter des bischöflichen „Vorwerks“ erwähnt wird.[4] Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, dass Bischof Dietrich v. Fürstenberg am selben Flussarm die Walkmühle anlegen ließ. Hierfür spricht auch ein technisches Detail: die rechtwinklige Positionierung des Wasserrades der Walkmühle. Es drehte sich nicht, wie üblich, parallel zur Fließrichtung des älteren Mühlengrabens, sondern rechtwinklig zur Mühlenpader am neu angelegten „Mühlenstrang“. Dieser künstliche Seitenarm vereinigte sich erst wieder im Ortskern oberhalb der Neuhäuser Lippebrücke mit der Mühlenpader. Damit blieb die Wasserzufuhr zur fürstlichen Roggenmühle, die im Ortskern am Paderborner Tor lag, unabhängig vom Wasserverbrauch der oberhalb liegenden Walkmühle.

„Jesuitenplan“ zum Paderverlauf im 17. Jahrhundert von J. Grothaus S. J., um 1680 („Abriß der Wege von Paderborn nach dem Nienhuiße“, EAB Pb, AV, PA 123, fol. 15)
„Jesuitenplan“ zum Paderverlauf im 17. Jahrhundert von J. Grothaus S. J., um 1680 („Abriß der Wege von Paderborn nach dem Nienhuiße“, EAB Pb, AV, PA 123, fol. 15)

Beim frühneuzeitlichen Ausbau der Neuhäuser Mühlenanlagen werden in den Amtsrechnungen mehrfach Zimmermanns- und Aushubarbeiten „an dem Mollengraben“, „an dero Mollengrafft“ oder „an dem Floetwerck“ erwähnt (1603/04). Leider lassen sich diese frühen Wasserbauten im Gelände nicht eindeutig verorten.[5] Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg wird die Walkmühle von der Rentkammer auf Zeit an private Pächter ausgegeben. Im Jahr 1672 war dies der Walkmüller Henrich Roßmann, der die Anlage 1688 erneut für eine Pachtgebühr von 21 Reichstalern annahm. Wohl über ihn beschwerten sich Paderborner(?) Wandmacher beim Fürstbischof, da sie durch Roßmanns Saumseligkeit ungebührlich lange in der Mühle aufgehalten worden seien. Der Walkmüller habe es verabsäumt, so der Vorwurf der Weber, das Flussbett der Mühlenpader gründlich vom üppigen Pflanzenwuchs und Verlandungen zu befreien.[6] Hierdurch sei der Zufluss an Betriebswasser stark eingeschränkt worden. Die Walkgäste hätten ganze acht Tage vor Neuhaus liegen müssen und zudem durch den Wassermangel nur wenige Tuche walken können. Um überhaupt einen nennenswerten Antrieb zu erhalten, habe man schließlich unter Inkaufnahme von „Versäumnis und Unkosten“ selbst zur Schaufel gegriffen und „oben an der Wiesen etwas [Erde] ausgeworffen“.[7] Um Betriebsbehinderungen dieser Art künftig vermeiden zu können, verpachtete die Hofkammer ihre Mühle in den 1730er Jahren direkt an das Paderborner Wandmacheramt. Am 15. Juni 1733 verlieh man so dem „Ambtsgenosse[n]“ Henrich Dust als Roßmanns Nachfolger für vier Jahre die fürstliche „Bockemühlen [= Walkmaschinerie] sambt der wohnung vndt [dem] kleinen Garten“.[8]

„Die Walch-Mühle“ aus Christoff Weigel: Abbildung Der Gemein-Nützlichen Haupt=Stände […], Regensburg 1698.
„Die Walch-Mühle“ aus Christoff Weigel: Abbildung Der Gemein-Nützlichen Haupt=Stände […], Regensburg 1698.

Neben der reibungslosen Wasserzufuhr („Vorflut“) oblag den Neuhäuser Müllern auch der Hochwasserschutz an der unteren Pader. In einem Pachtvertrag für den Kornmüller Johan Heinrich Volmari (1711) wird eine entsprechende „Umweltauflage“ schriftlich festgelegt. Walk- und Kornmüller hätten gemeinsam Aufsicht über das „obern Floetwerke vnnd [deren] Schütte“[9] zu führen, vor allem dann, wenn Dauer- oder Starkregen das Kulturland am Unterlauf der Pader gefährden sollten. Diese Schutzpflicht wird im Folgevertrag von 1733 auch dem Walkmüller als Oberlieger zur Kornmühle nochmals eingeschärft.[10] Aus einer jüngeren Bittschrift, die einige „Eingesessenen zu Neuhaus“ an ihren neuen Landesherrn Fürstbischof Franz Egon v. Fürstenberg (amt. 1789-1802/25) richteten, geht die allgemeine Gefährdungssituation in den 1780er Jahren hervor:

„Zwischen der Stadt Paderborn und dem Flecken Neuhauß, wo sich die Pader in zwey Flüsse nemlich in die kleine und große Pader teilet, ist von jeher ein Flutwerk unterhalten worden, mittelß welchem die Neuhausische Mahl= und Walke=Müller /: so laut älteren Müllen Contracten für allen durch die Überschwemmungen entstehenden Schaden zu haften verbunden:/ das Wasser in Schranken zu halten, und nach Erfordern in beyde obbesagte Flüsse so zu verteilen schuldig, daß dasselbe nicht aus seinen Ufern tretten, und die daran liegende Gründe überschwemmen und beschädigen können.“[11]

Nun sei das besagte Stauwehr (Oberes Flutwerk) „aber seit geraumen Jahren so verfallen, daß nunmehro kaum davon annoch die Spuren übrig sind“.[12] Folglich fehlten am Ausgang des 18. Jahrhunderts am Mittellauf der Pader ein effizienter Schutzbau, um die saisonal anschwellenden Fluten des Flusses regulieren zu können. Bereits 1783 war nach Auskunft des Walkmüllers Simon Fromme „das floetwerck“ wie auch das „grose waßer Rad“ seiner Mühle derart verfallen, „daß hiervon gar keinen bestimmten Gebrauch“ mehr gemacht werden könne.[13]

Nach ausgiebigen Reparaturarbeiten am gehenden Mühl- und stehenden Fachwerk,[14] deren Finanzierung die fürstliche Hofkammer als Eigentümerin übernahm, wurde die Walkmühle 1799 erneut für acht Jahre an deren Vorpächter Simon Fromme ausgegeben.[15] Vermutlich als Gegenleistung für die großzügige Kostenübernahme, verpflichtete sich der Walkmüller im neuen Vertrag zur Säuberung der gesamten Mühlenpader „vom Ausfluß aus Paderborn bis an die Walkmühle“ sowie zur Pflege der Kleinen Pader.[16]

Mit dem Herrschaftswechsel von 1802/03 fiel die bischöfliche Walkmühle an Preußen. 1806 wurde sie Teil der von den Lippstädter Kaufleuten Zurbelle und Delhas projektierten Neuhäuser Textilfabrik. Hierzu übertrug die Kriegs- und Domänenkammer in Münster den beiden Unternehmern in einem Erbpachtvertrag nicht allein das „Marstalls-Gebäude, nebst dem Treib- und Orangeriehause und noch anderen Gebäuden“, sondern auch „ein[en] große[n] Theil des Schloßgartens“ sowie „die Walkemühle außer Neuhaus nebst einigen Wiesen.“[17] Wie in ihrer barocken Blütezeit warben die Kaufleute zu Beginn des 19. Jahrhunderts erneut Fachpersonal an. Neben dem Fabrikinspektoren Welter hatte man auch Tuchscherer und Weber „aus der Gegend von Aachen und Eupen“ nach Neuhaus gezogen. Wurde durch Napoleons Kontinentalsperre und Besetzung Norddeutschlands der Absatz der Neuhäuser Textilfabrikate ab 1810 lediglich unterbrochen, so bereitete dem Unternehmen die verstärkte Einfuhr englischer Konkurrenzprodukte nach dem Friedensschluss von 1814/15 ein schnelles Ende.[18] Mit dem Aus für die Tuchfabrik entfiel 1819 auch der Dienst der Walkmühle für die lokale Textilproduktion. Ihr neuer Pächter, Mühlenbesitzer Ludwig Gockel, übernahm am 24. Oktober 1821 deren Gebäude und das Grundstück vom preußischen Staat. Im Mai 1828 wurde ihm gestattet, als Ersatz für die alte Walkmechanik einen Mahlgang einzubauen.[19] Damit wurde die Handwerkermühle, die ihre ursprüngliche Funktion im lokalen Sprachgebrauch beibehielt, zur Getreidemühle umgebaut. Im Neuhäuser Urkataster von 1832 wird Friedrich Bode als neuer Pächter der „Walkemühle“ genannt, deren Vermessung eine Grundstücksgröße von rund 77 Quadratruten ergab (Flur VII, Parz. 3).[20] Offenbar liefen die Geschäfte der neuen Kornmühle in den 1830er und 1840er Jahren gewinnbringend. Walkmüller Franz Tüllmann ließ daher mit Konzession vom 27. Dezember 1843 am „Mühlenstrang“ ein zweites Gerinne samt Rad für ein zusätzliches Mahlwerk anlegen.[21]

In den frühen 1870er Jahren übernahm dann Gockels Mitbewerber Friedrich Müller, der bereits die beiden Kornmühlen im Ort besaß, kurzfristig auch die Walkmühle.[22] 1885 bezog Müller zusammen mit seiner Ehefrau Minna, geborene Ohrmann (*1861), in deren Räumlichkeiten seine Wohnung.[23] Die Müllers betrieben die Walkmühle bis 1909 selbstständig weiter, bevor sie in den Besitz der „Neuhäuser Mühlenwerke“ übergehen sollte. Zwischen 1913 und 1922 stellte die alte Wassermühle ihren Mahlbetrieb wohl endgültig ein.[24] Die Wirtschaftsgebäude wurden zu Wohnungen umgebaut und privat vermietet.[25] Im Jahr 1966 riss man das ehemalige Mühlengebäude in Gänze ab; allein die Reste der einstigen Stauanlage sind an der Mühlenpader heute noch sichtbar.

Stauwerk der ehemaligen Neuhäuser Walkmühle an der Mühlen-Pader
Stauwerk der ehemaligen Neuhäuser Walkmühle an der Mühlen-Pader (Foto M. Ströhmer 2019)

[1] Vgl. Winter, Franz Josef: Schloß Neuhaus in alten Ansichten, Zaltbommel 1984, Abb. 24.

[2] LA Münster, Fürstbistum Pb, Ämterrechnungen Neuhaus (1596/97), Nr. 1046, fol. 46r. Die bisherige Annahme, dass es sich bei der fürstlichen Walkmühle nach Ausweis eines datierten Wappensteins (1716), den Fürstbischof Franz Arnold v. Wolff-Metternich zur Gracht über dem Mühlentor anbringen ließ, um einen barocken Neubau gehandelt habe, ist daher kritisch zu hinterfragen. Vgl. Middeke, Josef: Bild der Heimat, in: Die Residenz 5/25 (1966), S. 1-7; hier S. 5; Winter, Schloß Neuhaus, Abb. 24.

[3] Vgl. „Abriß der Wege von Paderborn nach dem Nienhuiße“ bei Koch, Frühe Verkehrsstraßen, S. 248f, Abb. 71.

[4] Vgl. Rade, Bewohner, S. 27.

[5] Vgl. für das Rechnungsjahr 1603/04: LA Münster, Fürstbistum Pb, Ämterrechnungen Neuhaus Nr. 1046, fol. 106r-111r.

[6] Vgl. Beschwerdeschrift der Wandmacher, o. D. LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 354, fol. 114r-114v.

[7] Ebd.

[8] LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 765, fol. 22r-23v.

[9] „Newhausischer Mühlen Contract“, 21. Mär. 1711. LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 765, fol. 14r-16v.

[10] Vgl. Art. 6, Pachtvertrag vom 15. Jun. 1733: „[…] Dan wirt auch letzlichem Ihme walckenmüllern alles ernstes anbefohlen, dergestalten mit dem waßer zu menangiren, damit die fürstliche Mahlemühle zu Newhauß keinen abgang davon habe, zu dem ende auch Ihme commitirt seyn solle, auff das oberste flothwerck gute acht zu haben, damit selbiges stets mit denen nöthigen schütten versehen seye, vndt das waßer also zuzustellen, damit das nöthige in den Mühlenfluß [Mühlenpader] geführt, vnndt keine schädliche überfließung verursachet werden möge […].“ LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 765, fol. 23v.

[11] „Unterthänige Bittschrift“, o. D. (um 1789). LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3044, fol. 30r-32v.

[12] Ebd., fol. 30v. Im August 1798 behauptete der Pächter Simon Fromme, der die Walkmühle 1783 übernommen hatte, gegenüber der Hofkammer, dass sein Vorgänger Ferdinand Tewes die Mühle samt Flutwerk aus „Unvermögenheit“ habe verfallen lassen. LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 766, fol. 1v-3v.

[13] Vgl. Pachtvertrag von Simon Fromme, o. D. (Ende 1783). LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 765, fol. 39r-39v.

[14] Im Kostenvoranschlag werden explizit genannt: Erneuerung zweier Holzstempel aus Buchenholz, die Reparatur des Radstuhls, Anfertigung eines neuen Wasserrades, Austausch diverser Ständer an der nördlichen Fachwerkwand, Neueindeckung des Daches. LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 766, fol. 9r-12v.

[15] Vgl. Pachtvertrag vom 21. Okt. 1799, LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 766, fol. 14r-15r.

[16] Ebd., Art. 2, fol. 14v.

[17] Preußische Ortschronik für Neuhaus (1818/19). StadtA Pb, H Schloß Neuhaus -1, S. 5f.

[18] Vgl. ebd., S. 18; Wurm, Neuhaus, S. 71f.

[19] Vgl. Schreiben des Müllers Louis Gockel an Amtmann Christiani zu Neuhaus, 13. Apr. 1858. LA Detmold, M1 III E, Nr. 151, unfol.

[20] Mutterrolle (1832), LA Detmold, M 5 C, Nr. 1469, Nr. 14.

[21] Vgl. Gesuch des Mühlenbesitzers Louis Gockel an die Bezirksregierung Minden, 30. Jan. 1860. LA Detmold, Regierung Minden I U, Nr. 659, unfol.

[22] Vgl. Mutterrolle des Neuhäuser Katasters (1867): Wird Louis Gockel 1867 noch als Müller und Besitzer der Walkmühle geführt, so wird „pro 1875“ Friedrich Müller als neuer Mühlenbesitzer eingetragen. LA Detmold, M 5 C, Nr. 5371, Art. 208.

[23] Vgl. Aussage der Witwe von Fritz Müller, Verhörprotokoll vom 14. Nov. 1925, Prozessakte Thombansen ./. Rosenthal (1924/25). StadtA Pb, A 3713, unfol.

[24] Vgl. Schäfers, Standorte, S. 85; Winter, Schloß Neuhaus, Abb. 24.

[25] Im Jahr 1925 wohnten hier neben der Witwe Minna Müller u. a. der Kaufmann Franz Osthoff sowie Wilhelm Ottenlips mit seiner Familie. Vgl. Prozessakte Thombansen ./. Rosenthal (1924/25), Verhörprotokoll vom 14. Nov. 1925. StadtA Pb, A 3713, unfol.

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Dies ist ein Auszug aus einem Aufsatz des Historikers Prof. Dr. Michael Ströhmer. Der Originaltitel des Aufsatzes lautet: "Wirtschaftsregion Pader - Eine geschichtswissenschaftliche Skizze (1350-1950)". Sollten Sie weiteres Interesse an der Wirtschaftsgeschichte der Pader haben, empfehlen wir Ihnen den vollständigen Aufsatz (PDF-Datei) herunterzuladen.

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