Die "neue" Wasserkunst

Gewerbe & Handwerk

Neuhaus, Neue Wasserkunst von 1753/55 im „Grundriss der Wiese bei der Lippebrücke“, 18. Jahrhundert (EAB Pb, AV, Acta 88, fol. 18v-19r, Bearbeitung M. Ströhmer 2019)

Parallel zu den barocken Neubauten von „Fürstenweg“ (1751) und Lippebrücke (1752) begannen vermutlich auch die Erdarbeiten für ein neues Hebewerk, das in den nächsten Jahren am Zusammenfluss von Pader und Kleiner Lippe aufgebaut wurde. Die einst von Hofbaumeister Nagel favorisierte Lösung, die fürstlichen Wasserspiele im Schlossgarten über einen zentralen Wasserturm zu speisen, dürfte in den 1740er Jahren aufgegeben worden sein. Da die Kapazität der Alten Wasserkunst wohl nicht mehr ausreichte, entschloss man sich zum Neubau eines leistungsstarken Pumpwerkes. Dessen vier gusseiserne Stiefel sollten die große Gartenfontäne einige Jahre später auf über 20 Meter Höhe hinauftreiben.[1] Beaufsichtigt von Hofbaumeister Nagel und Geheimrat v. Weitz, der aus der benachbarten Landgrafschaft Hessen-Kassel verpflichtet worden war, errichtete der ebenfalls aus Kassel stammende Wasserbauspezialist und dortige „Brunnenmeister Reutel“ oder „Rödel“ das technisch anspruchsvolle Pumpwerk.[2]

Zur Verstärkung der Wasserkraft verlängerte ein Bautrupp zunächst den Lauf der Unterpader an deren Einmündung in die Kleine Lippe um mehr als 50 Meter.[3] Flussseitig mit einem Deich eingefasst, schuf man westlich der Steinbrücke einen neuen Wasserkunstkanal, der sich parallel zur Lippe erstreckte.[4] Der Wasserstand dieses Grabens ließ sich über ein Stauwehr regulieren. Die jeweilige Höhe ihrer auf Eck gestellten Tore („Schütten“) bestimmten den Wasserzufluss sowohl in den Kunstkanal wie auch in der Kleinen Lippe. Fielen beispielsweise Reparaturarbeiten an der Grabensole, der Uferbefestigung oder dem Wasserrad der Neuen Kunst an, so konnte man das Paderwasser im Kanal unterhalb der Brücke in die Lippe umleiten. Ein Gutachten aus den späten 1780er Jahren beziffert die Höhendifferenz der Wasserstände zwischen (angestauter) Pader und Kleiner Lippe auf 28 Zoll (ca. 70 cm).[5]

Neuhaus, Neue Wasserkunst von 1753/55 im „Grundriss der Wiese bei der Lippebrücke“, 18. Jahrhundert (EAB Pb, AV, Acta 88, fol. 18v-19r, Bearbeitung M. Ströhmer 2019)
Neuhaus, Neue Wasserkunst von 1753/55 im „Grundriss der Wiese bei der Lippebrücke“, 18. Jahrhundert (EAB Pb, AV, Acta 88, fol. 18v-19r, Bearbeitung M. Ströhmer 2019)

Auf einer nahezu quadratischen Grundfläche von schätzungsweise 8 x 8 Metern zogen die Bauleute das Pumpenhaus in die Höhe.[6] Dessen Sockel dürfte in Stein ausgeführt worden sein. Auf Nagels Gartenplan (1736) stand hier zuvor ein altes Treibhaus („Orangerie“), für dessen Umsiedlung ein neuer Platz in der Nähe des Marstalls gefunden worden ist.[7] Nach der für das Jahr 1753 erhaltenen Baurechnung ließ der Architekt neben Sand- auch Backstein verbauen: Abgerechnet wurden größere Mengen an Sandstein im Wert von 395 Reichstalern und „Back- und Ziegelsteine“ für 521 Reichstaler.[8] Für die Steinhauerarbeiten wurde Meister Valentin Sprenger verpflichtet, der vielleicht auch die „verfertigte Bildhauerarbeith“ für rund 285 Taler in Rechnung stellte. Mutmaßlich zur Dachbedeckung kaufte man zudem „Borcher Platten“ ein. Der obere Baukörper des Pumpenhauses dürfte hingegen in Fachwerk ausgeführt worden sein. Das hierfür benötigte Bauholz lieferte man aus dem gesamten Hochstift nach Neuhaus an: Explizit genannt werden Fuhren aus Schwaney, Buke, Driburg, Kleinenberg und Wünnenberg – alles Ortschaften, die im waldreichen Eggegebirge oder am nördlichen Saum des Sauerländer Waldes lagen.[9]

Teil der Baurechnung der Neuen Wasserkunst von 1753 über Ausgaben für Bauholz, Säge- und Maurerarbeiten sowie Fuhrlohn (LA Münster, Fbtm Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 4v-5r)
Teil der Baurechnung der Neuen Wasserkunst von 1753 über Ausgaben für Bauholz, Säge- und Maurerarbeiten sowie Fuhrlohn (LA Münster, Fbtm Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 4v-5r)

Die am Bau eingesetzten Zimmerleute stammten sowohl aus Kassel wie auch aus der näheren Umgebung von Neuhaus.[10] Technisch anspruchsvolle Metallarbeiten kauften Geheimrat v. Weitz und Brunnenmeister Reutel direkt in Kassel ein. Hierzu zählten vor allem Spezialanfertigungen aus Messing wie Rohraufsätze, Wasserhähne oder Gießformen für Bleirohre. Der für den Druckausgleich im Leitungssystem bestellte „kupferne Windt=Körper“ wurde ebenfalls für 400 Taler im benachbarten Ausland bestellt. Blechschläger Philip Hutten fertigte acht „Waßer Brusen“ für die kleineren Fontänen an.[11] Zum Abdichten der Kolbenköpfe lieferte ein Kaufhändler Engelhard das notwenige „Pumpen leder“.[12] Allein im Jahr 1753 kostete die Hofkammer die Anschaffung „verfertigter Waßer Crahnen“ die stolze Summe von rund 1.300 Reichstalern.[13] Die Jahreskosten beliefen sich allein für 1753 auf stattliche 18.507 Taler.[14]

Alle Druckleitungen im Leitungssystem der Neuen Kunst wurden in Gusseisen und Blei ausgeführt. Die Gefälleleitungen hingegen fertigte man aus heimischen Holzstämmen, zu deren Bohrung Schlosser Joachim Ploscher 1753 einen großen Bohrer schmiedete.[15] Mehr als einhundert Meter an Metallrohren, die im Boden gut 3 Fuß (ca. 90 cm) tief verlegt waren,[16] ließen die Baumeister in Kassel und auf der Eisenschmelzhütte in Altenbeken gießen.[17] Als im Zuge der Säkularisation (1802/03) die ehemals fürstbischöflichen Wasserkünste allmählich verfielen, schlug der preußische Bauinspekteur Ganzer der Bezirksregierung im Jahr 1808 vor, die in einer Ummantelung aus „Pott-Lehm“[18] verlegten Neuhäuser Wasserrohre zur Nachnutzung in Paderborn wieder auszugraben.[19] Er erhoffte sich hierdurch die kostengünstige Wiedergewinnung von 400 Fuß (ca. 120 m) an Eisenrohren, die er zur Modernisierung der Paderborner Stadtwasserkunst einzusetzen gedachte. Das Gesamtgewicht der von Neuhaus nach Paderborn benötigten Pferdefuhren schätzte der Bauinspekteur auf wenigstens 180 Zentner (ca. 9 Tonnen).

Während ihrer gut 50jährigen Existenz (1753-1803) wurde die Neue Wasserkunst von zwei kurfürstlichen „Wassermeistern“ beaufsichtigt und gewartet. Wie bereits in Paderborn üblich, gingen auch die Neuhäuser Meister ihren Fürstendienst im Nebenberuf nach.[20] So war der 1760 von der Hofkammer bestallte Wassermeister Franz Georg Eberlein (*1728 +1811) von Haus aus Kleinschmied/ Schlosser und sein Kollege Johann Hermann Struch Schreinermeister.[21] Diese fachliche Doppelbesetzung ergab durchaus Sinn, weil für die Bestallung zum Wassermeister nur spezialisierte Handwerker für Metall- und Holzarbeiten infrage kamen. Vier Neuhäuser Wassermeister ließen sich namentlich ermitteln:

 

            1753:               Wilhelm Piever[22]

            1758:               Philip Kramer (+1760)[23]

            1760/62:         Franz Georg Eberlein (Schlosser)

            1760/62:         Johann Hermann Struch (Schreiner)

 

Mit der Säkularisation ging die Neue Wasserkunst in preußischen Staatsbesitz über. Der Abriss des barocken Pumpenhauses wird vermutlich in den folgenden Jahren erfolgt sein. In der Urkatasterkarte von 1829/30 ist das Gebäude nicht mehr eingezeichnet.[24]

Neuhaus, ehemaliges Wohnhaus des kurfürstlichen Wassermeisters Franz Georg Eberlein in der Sertürner-Straße 26 (Foto M. Ströhmer 2019)
Neuhaus, ehemaliges Wohnhaus des kurfürstlichen Wassermeisters Franz Georg Eberlein in der Sertürner-Straße 26 (Foto M. Ströhmer 2019)

[1] Vgl. Börste/ Santel: Schloss Neuhaus, S. 75. Zu den technischen Details der Anlage vgl. die Baurechnung für das Jahr 1753. LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 2r-29.

[2] Im Mai 1754 beantwortete Fürstbischof Clemens August die Anfrage seines Hofbaumeisters Nagel positiv: Für alle künftig anfallenden Reparaturen und technischen Verbesserungen („melioration“), die an der Neuen Wasserkunst anfielen, sei fortan „waßer Meister Rödel“ zu beauftragen. Die hierdurch anfallenden Kosten habe die Paderborner Hofkammer allein zu tragen. LA Münster, Fürstbistum Pb, Nr. 3081, fol. 1r-1v.

[3] Die große Fontäne in der Gartenanlage des Fürstbischofs Clemens August wurde sehr wahrscheinlich nicht direkt von der Alten Wasserkunst „in der Nähe des Paderborner Tores“ angetrieben. Vgl. Kandler/ Krieger/ Moser, Schloß Neuhaus, S. 48.

[4] Vgl. Plan 2 „Ansicht des Schloßgartens zu Neuhaus von Philipp Sauer 1753 [um 1790]“, EAB Pb, AV, Akta 88, fol. 2r-3v.

[5] Vgl. Gutachten des Franz Anton Becker für Fürstbischof Franz Egon v. Fürstenberg, o. D. (1789?): „1mo: […] bey der großen Wasser=Kunst der Abfall der pader in die Lippe 28 Zoll nach der senkrechten Linie betragen“. LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3044, fol. 33r-35v, hier fol. 33r.

[6] Vgl. „Grundriß des Gemüsegartens und der Wiesen im Schloßpark (18. Jhd.)“, EAB Pb, AV, Akta 88, fol. 14v-15r sowie „Grundriß der Wiese bei der Lippebrücke (18. Jh.)“, fol. 18r-19v.

[7] Vgl. Börste/ Santel, Schloss Neuhaus, S. 77; Hansmann, Neuhäuser Schlossgarten, S. 132.

[8] Vgl. LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 5r-6r.

[9] Vgl. LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 4r ff.

[10] „Ahn Zimmer vnd Arbeitslohn behueff deren Caßellanern – 823 Rtl. […] behueff hiesiger Zimmerleuthen – 775 Rtl.“. LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 4r.

[11] LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 8v.

[12] LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 7r.

[13] LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 5v.

[14] LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 9r. Die Gesamtbaukosten für die Neue Wasserkunst beliefen sich auf schätzungsweise 23.000 Rtl. Vgl. Wurm, Neuhaus, S. 58.

[15] LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 8r.

[16] Vgl. Kostenvoranschlag von Ganzer, Jun. 1808. StadtA Pb, A 888, fol. 29v-33v., hier 33v.

[17] Baurechnung 1753: „[…] von der Altenbeecker Hütten anhero transportirten eisernen Röhren“. Vgl. Reisekosten des kurfürstlichen Hofschmieds „Meister Johann“, der im Juni 1758 den „großen Zapfen […] zur großen Kunst“ auf dem Hammer in Altenbeken schmieden ließ. LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 3v; 17r.

[18] Vgl. Baurechnung 1753: „Auswerffung des erforderlichen Pott-Leimens – 104 Rtl.“ LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 4r.

[19] Vgl. Kostenvoranschlag von Ganzer, Jun. 1808. StadtA Pb, A 888, fol. 29v-33v.

[20] Vgl. Ströhmer, Michael: Die Paderborner Wasserkünste als technische Denkmale des europäischen Kulturerbes ECHY 2018, in: WZ 169 (2019), S. 295-317.

[21] Vgl. Kanne, Familien in Neuhaus, S. 93; 109. Wassermeister Eberlein wohnte 1805 mit seiner zweiten Ehefrau Gertrud Hille in einem kleinen Fachwerkhaus in der heutigen „Sertürner Straße 26“.

[22] LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 8r.

[23] LA Münster, Fürstbistum Pb, Hofkammer Nr. 3054, fol. 26r. Im Oktober 1759 soll der Neuhäuser „Wassermeister Cramer“ Aufsicht über die Sanierungsarbeiten an der „Wasserleytung von Lippspringe bis an die Neuhäus. Fischdeiche“ führen. Zit. n. Pavlicic, Eine altertümliche Wasserzuleitung, S. 26. 

[24] Vgl. Flur V, Parz. 240 und 237.

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Dies ist ein Auszug aus einem Aufsatz des Historikers Prof. Dr. Michael Ströhmer. Der Originaltitel des Aufsatzes lautet: "Wirtschaftsregion Pader - Eine geschichtswissenschaftliche Skizze (1350-1950)". Sollten Sie weiteres Interesse an der Wirtschaftsgeschichte der Pader haben, empfehlen wir Ihnen den vollständigen Aufsatz (PDF-Datei) herunterzuladen.

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