Zwischen Dielen- und Rothobornpader:
Vom Adelssitz Zur Domdechanei

Die Vorgeschichte der Stadtbibliothek in Paderborn

Hintergrundbild: Ehemalige Domdechanei Paderborn (Rufus46, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Standort des ehemaligen Adelssitzes und Domdechanei (heutige Stadtbibliothek) im östlichen Paderquellgebiet unterhalb der Kaiserpfalz (Datengrundlage: Bezirksregierung Köln Geobasis NRW, Datenlizenz Deutschland - Version 2.0 (www.govdata.de/dl-de/by-2-0))

Die Paderborner Stadtbibliothek, malerisch unterhalb von Dom und Kaiserpfalz auf einer Halbinsel zwischen Rothoborn und Dielenpader gelegen, befindet sich in der ehemaligen Domdechanei, dem „ersten großen Profanbau des Barock in Paderborn“ (Höper). Das Palais wurde 1676/77 im Auftrag des Domdechanten Hermann Werner v. Wolff-Metternich von einem namhaften Architekten, dem Kapuzinerbruder Ambrosius von Oelde, gebaut. Nach der Aufhebung des alten, adligen Domkapitels war es von 1816 bis 1842 die Dienstwohnung des Präsidenten des preußischen Oberlandesgerichts, dann bis 1945 Sitz des Stadt- bzw. Amtsgerichts Paderborn.

 

Die Domdechanei als Amtsgericht vor 1945
Die Domdechanei als Amtsgericht vor 1945 (Foto: Stadt- und Kreisarchiv Paderborn M4, Bildnr. 135 / Franz-Josef Vahle)

Ursula Hoppe fand 1975 in ihrer Dissertation über die Paderborner Domfreiheit heraus, dass an dieser Stelle bereits der Domdechant Arnold von Horst (im Amt 1590-1626, + als Dompropst 1630) seine Residenz errichtete, nachdem er das alte Domizil seiner Vorgänger am Kleinen Domplatz aufgegeben hatte. Weiter zurück ließ sich die Geschichte des Geländes zwischen den beiden östlichen Paderarmen bisher nicht verfolgen. Dies ist erst jetzt dank neuer Quellenfunde im Staatsarchiv Marburg möglich.

 

Das Amtsgericht (Teilansicht) und Nebengebäude nach der Zerstörung
Das Amtsgericht (Teilansicht) und Nebengebäude nach der Zerstörung (Foto: Stadt- und Kreisarchiv Paderborn M4, Bildnr. 165 / Franz-Josef Tudyka)

Mitten im Dreißigjährigen Krieg, im Juli 1633, marschierten hessische Truppen in Paderborn ein. Der protestantische Landgraf Wilhelm V. von Hessen-Kassel (reg. 1627-1637) eroberte und annektierte das katholische Hochstift. Domdechant Dietrich Adolf von der Recke, der Nachfolger Arnold von Horsts, und die meisten anderen Mitglieder des Domkapitels ergriffen die Flucht. Der neue Landesherr nahm die Domdechanei in Besitz und schenkte sie mit allen „Intraden, Zinsen und Renten“ seiner Gemahlin Amalie Elisabeth. In dem Zusammenhang befahl Landgraf Wilhelm am 19. Oktober 1635 seinem Rentmeister Helmerich Faber, einen genauen Bericht über die Domdechanei, die dazugehörigen Ländereien und besonders die Einkünfte vorzulegen. Am 28. Oktober schickte Faber seinem Chef als erstes ein „Verzeichnus dero zu der Thumbdechaney gehorige wonung, garten, wießen undt dergleichen“. Neben der „Thumbdechaney behausungh under dem Thumb, zwischen beyden quelleten Paderwaßern gelegen“ erstreckten sich „eín lustgarten, ein deich [= Teich], ein baumgarten undt ein krauttgarten gleich in einer kleinen insel gelegen.“ Nördlich davon „zwischen den muhlen“ lag ein weiterer „Baum- undt krauttgarten“, den ein Pastor nutzte. Zur Domdechanei gehörte demnach der heutige sog. Geisselsche Garten, der damals bis zu der Fläche zwischen der Mühle an der Rothoborn- und der an der Dielenpader, der jetzigen Reineke-Mühle, reichte.

Einen kursorischen Blick auf die Wohnverhältnisse ermöglicht das „Inventarium aller Mobilien welche in der Thumbdechaney befindlich“, das gleich nach der Konfiszierung 1633 angelegt wurde. Neun Räume werden erfasst, an erster Stelle eine Art Saal, in dem 13 Stühle, mit rotem Leder überzogen, sowie ein Tischteppich aus rotem Leder aufgeführt sind. In dem anschließenden „Cantorchen“, einem kleinen Arbeitszimmer, hingen mehrere, nicht näher beschriebene Gemälde, im „Vorgemach“ Porträts von Kaiser und Papst. Im Schlafzimmer waren ein Himmelbett, Kissen, Decken, Wäsche sowie für die Körperpflege ein Handbecken und ein Gießkännchen, beide aus Zinn. In der Küche, in der praktischerweise auch das Bett des Kochs stand, befanden sich u.a. ein Dutzend Teller und Schüsseln, ebenfalls aus Zinn. Das Tafelsilber und andere Kostbarkeiten scheint der Hausherr vor dem Zugriff der Hessen in Sicherheit gebracht zu haben. In einer Nebenkammer, nach dem Dom hin gelegen, stand ein Bett für den Organisten.

Die Wappen der acht Urgroßeltern der Ottilie Hesse von Wichdorf im Kreuzgang der Busdorfkirche, oben links das Wappen der Familie Stapel (Foto: R. Decker)

Für die Vorgeschichte der Domdechanei ist die einleitende Feststellung des Rentmeisters Faber von 1635 höchst aufschlussreich: „Thumbdechaney behausungh under dem Thumb … ist hiebevor denen von Adel, Stapel genandt, zugestanden, welcher stamm gantz ausgestorben und also zum dumb capitul. weil dieser stamm einß von den 4 Seulen des Stieffts geweßen, kommen.“ Die seit dem 12. Jahrhundert urkundlich genannte Ministerialenfamilie Stapel war eng mit Paderborn verbunden. Sie stand an der Spitze der Beamtenschaft des Domkapitels, von dem sie einen großen Gutshof, das Amt Lon, in der Feldmark zu Lehen trug, und wurde ehrenhalber zusammen mit den von Brenken, Crevet und von Haxthausen zu den „4 Säulen und edlen Meiern“, d.h. adligen Gutsverwaltern, des Domstifts gezählt. Darüber hinaus besaßen die Stapel das Amt des Erbküchenmeisters am bischöflichen Hof. 1545 starb die Familie mit Wulf Stapel im Mannesstamm aus. Die vom Domkapitel lehnrührigen Güter fielen an seine beiden Schwestern und deren Nachkommen. Die Nichte Ottilia Hesse von Wichdorf, verheiratet mit Bernd von Viermund, zahlte in den 1570er Jahren andere Erben aus und sicherte so den größten Teil des Besitzes für ihren um 1564 geborenen Sohn Philipp Konrad von Viermund. Auf einer um 1590/1600 gezeichneten Karte der zwischen Dom und Pader liegenden Grundstücke ist am oberen, nördlichen Rand vermerkt: „e regione aedes Lipskourt nobilis sitae sunt“„Gegenüber stehen die Gebäude des Adligen Lipskourt“. Mit „Lipskourt“, der Kurzform von Philippus Kurt/Konrad, ist Philipp Konrad von Viermund gemeint. Auch der Plural „aedes“ lässt sich erklären. Östlich der Domdechanei, unmittelbar an das Quellbecken der Dielenpader grenzend, stand bis 1945 eine große Scheune mit der Jahreszahl „1580“ über dem Torbogen. Das Wirtschaftsgebäude wurde offensichtlich von Ottilia und ihrem Sohn als Ergänzung des Haupthauses, des Adelssitzes, errichtet.

Epitaph (=repräsentative Gedenktafel für Verstorbene) für Philipp Konrad von Viermund, 1597 (Stadtmuseum Paderborn, Foto: Nordrhein- Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste, Arbeitsstelle Inschriften / Sonja Hermann)

Zurück zu dem Adelssitz an der Pader. An der Spitze des Domkapitels, das nach dem Tod des kinderlosen Philipp Konrad von Viermund 1596 das Stapelsche Erbe erwarb, stand Domdechant Arnold von Horst. Er nutzte offensichtlich den Besitzzuwachs, um auf diesem „Filetstück“ innerhalb der Domfreiheit die neue, repräsentative Kurie der Dechanten zu errichten. Der Bau machte einen solchen Eindruck, dass er, wie erwähnt, im Dreißigjährigen Krieg als Nebenresidenz der Gemahlin des Landgrafen von Hessen-Kassel vorgesehen war. Dazu kam es aber nicht, denn im August 1636 eroberten kaiserliche Truppen Paderborn. Domdechant Dietrich Adolf von der Recke kehrte also nach drei Jahren aus dem Exil zurück. 1643 zum Dompropst gewählt, vertrat er das Hochstift auf dem Friedenskongress in Münster mit Erfolg, denn Landgräfin Amalie Elisabeth als Regentin für ihren minderjährigen Sohn musste 1648 im Westfälischen Frieden auf Paderborn verzichten. Die Domdechanei behielt damit für die folgenden 162 Jahre ihre Funktion. Nach dem Neubau 1676/77 erlebte sie „ihre glanzvollsten Tage … , als der zum Fürstbischof gewählte Hermann Werner von Wolff-Metternich in ihr und nicht, wie üblich, im bischöflichen Sternberger Hof nach seinem feierlichen ersten Einzug in die Stadt im Juli 1684 Hof hielt (Hoppe). Von 1740 bis 1742 ließ Domdechant Graf Johann Friedrich v. Schaesberg durch den Hofbaumeister Franz Christoph Nagel das barocke Palais an der Ostseite um ein großes Treppenhaus erweitern. Genau in diesen Jahren begann auch Balthasar Neumann im Auftrag von Erzbischof Clemens August mit der Errichtung des berühmten Treppenhauses im Schloss Augustusburg bei Brühl.

Die enge Verbindung zwischen der Adelsfamilie Stapel und der Stadt Paderborn zeigt sich an der Ähnlichkeit der Wappen. (Abb.: Max von Spießen, Wappenbuch des Westfälischen Adels, Bd. 2, Görlitz 1903, Tafel 303; Stadt Paderborn)

In der Paderborner Domdechanei wohnte fast vier Jahre lang, bis zu seinem Tod am 23. Januar 1799 der wegen der Revolution aus Frankreich geflüchtete Bischof von Le Mans François Gaspar de Jouffroy-Gonsans als Gast des Dechanten Damian v. Forstmeister. Seit 1816 war die ehemalige Domdechanei der Dienstwohnsitz des Präsidenten des neuen preußischen Oberlandesgerichts Paderborn, Friedrich Karl v. Schlechtendal. Der hohe Jurist war auch ein namhafter Botaniker. Sein Sohn Diedrich Franz Leonhard (1794–1866) wurde Professor der Botanik an der Universität Halle. Als nach dem Tod des Vaters 1842 die Justizverwaltung das Stadt- und Landgericht in die Domdechanei verlegen wollte, ordnete der Justizminister eine „vollständige gerichtliche Taxe“ des Gebäudes und seiner Umgebung an. Der Gerichtsrat v. Detten sowie vier sachverständige Bauhandwerker und Ökonomen beschrieben in dem Protokoll detailliert auch den Garten. Dieser reichte im Norden über die heutige Mühlenstraße, die in diesem Verlauf erst nach dem Ükernbrand von 1875 angelegt wurde, bis zu dem Weg vor den beiden Mühlen an Rothoborn- und Dielenpader. Das nüchterne Protokoll erfasst nur den materiellen Wert, z.B. die Zahl der Obstbäume, und lässt wenig Gespür für die Konzeption erkennen, in der das Vorbild des englischen Landschaftsparks an die Stelle des geometrisch angelegten Barockgartens trat.

Der Garten liegt von Süden nach Norden und ist 540 Fuß [1 Fuß = 0,31 m] lang, läuft jedoch in einer Kegelform ganz spitz zu, so dass sich seine Breite nicht angeben läßt; er ist rings von der Pader umgeben und wird außerdem durch Leitungsgräben aus derselben bewässert. Er bildet in seinem jetzigen Zustande keinen Nutzungsgarten, sondern einen bloßen Luxusgarten mit Rasenplätzen, englischen Partien, Buschwerk und enthält außer 83 Obstbäumen eine Menge Tannen, Ahorn, Pappeln, Eschen und Eichen, von denen einige ziemlich hochstämmig.

Das Gewächshaus liegt am Eingange des Gartens rechter Hand ist 48 ½ Fuß lang, 13 breit und 7 Fuß hoch, noch im guten Baustande, und enthält aus Fachwerk erbauet eine kleine Stube, einen Heizwinkel und das Behältnis zur Aufstellung der Blumen; das Dach besteht theils aus sogenannten Biberschwänzen, theils aus Glasscheiben.

Das Gartenhaus liegt ganz am Ende des Gartens, ist massiv von Backsteinen erbauet und bildet eine Art Grotte, ist 17 Fuß lang, 13 ½ breit und 9 Fuß hoch; das Dach ist mit Hohlpfannen gedeckt.

Das Wasserrad liegt an der Ostseite des Gartens über der Pader, ist ein gewöhnliches Mühlenrad und dient zur Bewässerung des Gartens u. hat im Boden etwas Gemauer und einen Wasserkasten mit Röhren.

(Staatsarchiv Detmold M 8 Nr. 1127, 26. August 1842.)

1843 verkaufte der Justizfiskus den Park für 1300 Taler an einen Nachbarn in der Michaelstraße, den Gutsbesitzer Anton von Rintelen.

Die Bomben des Zweiten Weltkriegs ließen von dem prächtigen Bau an der Pader nicht viel mehr als die Außenmauern übrig. Immerhin wurde die Ruine mit einem Dach provisorisch gesichert. Die Stadt Paderborn erwarb das ehemalige Amtsgericht vom Fiskus wie zuvor schon den Geisselschen Garten, der im 19. Jahrhundert in Privatbesitz übergegangen war. Nach langem Zögern entschloss man sich, die Außenstrukturen zu erhalten, aber das Innere völlig neu zu gestalten. 1977 zog nach dem Einbau einer die neuen Geschosse tragenden Stahlkonstruktion eine moderne Stadtbibliothek ein.

Ehemalige Domdechanei Paderborn (Rufus46, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Staatsarchiv Marburg: 4 f Paderborn Nr. 169 (ohne Seitenzählung); Inhaltsangaben und Auszüge im Nachlass von Pfarrer Walter Wahle (Störmede) in der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek.

Erzbischöfliche Akademische Bibliothek, Paderborner Studienfonds, Originalurkunde Nr. 17 vom 1. Februar 1390.

Landesarchiv NRW Abt. Westfalen in Münster: Fürstbistum Paderborn, Lehnskurie Urkunde Nr. 1596 vom 9. Januar 1607 (Belehnung des Heinrich von Westphalen mit dem Amt des bischöflichen Erbküchenmeisters als Nachfolger der Familie Stapel)

Balzer, Manfred: Untersuchungen zur Geschichte des Grundbesitzes in der Paderborner Feldmark (München 1977) S. 172 u. S. 408-410.

Börste, Norbert/Kopp, Stefan (Hrsg.): 1000 Jahre Bartholomäuskapelle in Paderborn (Petersberg 2018) S. 28 (Abb. des Plans um 1590/1600).

Braun, Bettina: Paderborn im Dreißigjährigen Krieg. In: Göttmann, Frank (Hrsg.), Paderborn, Band 2, Die Frühe Neuzeit (Paderborn 1999) S. 201-265.

Decker, Rainer: Bürgermeister und Ratsherren in Paderborn vom 13. bis zum 17. Jahrhundert (Paderborn 1977) S. 167- 172 (Familie Bulemast-Stapel).

Hermann, Sonja: Das Epitaph für Philipp Konrad von Viermund von 1596 im Paderborner Stadtmuseum. In: Westfälische Zeitschrift 169 (2019) S. 235-255.

Höper, Eva-Maria: Ambrosius von Oelde (Dülmen 1990) S. 168-171.

Hoppe, Ursula: Die Paderborner Domfreiheit (München 1975) S. 81 u. S. 106 Anm. 461.

Kroker, Martin: Domdechanei und Stadtbücherei – zur Siedlungsgeschichte der Halbinsel nördlich von Dom und Pfalz. In: Ders./Sven Spiong (Hrsg.), Archäologie als Quelle der Stadtgeschichte (München 2009) S. 161-166.

Michels, Paul: Paderborner Inschriften, Wappen und Hausmarken (Paderborn 1957) S. 151 (Inschrift von 1580).

Staatsarchiv Detmold M 8 Nr. 1127, 26. August 1842.

Stadtarchiv Paderborn A 803.

Für wertvolle Hinweise danke ich Manfred Balzer (Münster) und Günter Wißbrock (Paderborn).

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Dies ist ein Auszug aus einem Aufsatz des Historikers Dr. Rainer Decker. Der Originaltitel des Aufsatzes lautet: "Vom Adelssitz zur Domdechanei - Die Vorgeschichte der Stadtbibliothek in Paderborn", in: Die Warte, Heft 194 Sommer (2022). Sollten Sie weiteres Interesse an der Geschichte der ehemaligen Domdechanei in Paderborn haben, empfehlen wir Ihnen den vollständigen Aufsatz (PDF-Datei) herunterzuladen.

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