Ausbau und "Umbau" der Neuhäuser Getreidemühlen

Gewerbe & Handwerk

Ensemble „Neuhäuser Mühlenwerke“ der Firma A. Rosenthal (v. l. n. r.) Wohnhaus, dreigängige Roggenmühle und Lagerhaus an der heutigen Schlossstraße, um 1880 (Federzeichnung, Privatarchiv Georg. G. SANTEL, Paderborn)

Mit dem Um- und Ausbau der Walkmühle zur zweigängigen Kornmühle (1828/42) besaß Neuhaus zu Beginn der 1850er Jahre nun zwei größere Getreidemühlen, die als Ober- und Unterlieger an derselben Mühlenpader lagen. Aufgrund des erhöhten Mahlbedarfs, vermutlich hervorgerufen durch das Bevölkerungswachstum im Ort selbst, plante der Paderborner Mühlenbesitzer Sander seit Ende der 1840er Jahre die Anlage einer dritten Neuhäuser Getreidemühle. Diese „Weizenmühle“ sollte auf jenem Grundstück entstehen, das der Neuhäuser Gastwirts und Postexpediteur Adolph Scherpel von Landeshauptmann Freiherr Alexander von der Lippe (*1765 +1837) erworbenen hatte.[1]

 

„Situation der Mühlen des Bodenstab [= „Roggenmühle“] und des Tüllmann [= Walkmühle] bei Neuhaus“ 1849 (LA Detmold, Regierung Minden, I U Nr. 660, unfol.)
„Situation der Mühlen des Bodenstab [= „Roggenmühle“] und des Tüllmann [= Walkmühle] bei Neuhaus“ 1849 (LA Detmold, Regierung Minden, I U Nr. 660, unfol.)

An Stelle des alten Wasserkunstgebäudes, das Ende des 16. Jahrhunderts über einem Verbindungsgraben von rund 1,20 Meter Breite errichtet worden war, sollte die neue zweigängige Weizenmühle errichtet werden.[2] Erst nach heftigem Widerstand der konkurrierenden Mühlenbesitzer Franz Tüllmann, Louis Gockel (beide Walkmühle) und Friedrich Müller (Königliche Mahlmühle), welche die Neuansiedlung trickreich verhindern wollten, stand spätestens im Jahr 1855 deren Neubau.[3] Drei Jahre zuvor, im Mai 1852, hatten sich die örtlichen Bäckermeister und andere Bürger in Petitionen nachdrücklich für die Ansiedlung einer dritten Kornmühle ausgesprochen. [4] Ein Jahr später erteilte Minden die notwendige Konzession (1853).[5] Müllermeister Friedrich Müller, der zuvor noch gegen Scherpels Pläne opponiert hatte, übernahm schon bald die neue Weizenmühle an der Wasserkunstpader. Für das Jahr 1875 ist Müller im Neuhäuser Kataster zudem als Nachfolger von Louis Gockel eingetragen, dem bisherigen Pächter der Walkmühle.[6] Im selben Jahr gründete der jüdische Mühlenbesitzer Abraham Rosenthal die „Neuhäuser Mühlenwerke“ (1875).[7] Müllers Roggen- und Weizenmühle gingen wohl in den 1880er Jahren in den Besitz dieser angesehenen Familie über. Eine zeitgenössische Federzeichnung des Rosenthal´schen Mühlenensembles hält die architektonische Situation an der Neuhäuser Schloßstraße fest.[8]

Ensemble „Neuhäuser Mühlenwerke“ of the company A. Rosenthal (f. l. t. r.) Residential house, three-course rye mill and storehouse on today's Schlossstraße, around 1880 (pen and ink drawing, private archive Georg. G. SANTEL, Paderborn)
Ensemble „Neuhäuser Mühlenwerke“ of the company A. Rosenthal (f. l. t. r.) Residential house, three-course rye mill and storehouse on today's Schlossstraße, around 1880 (pen and ink drawing, private archive Georg. G. SANTEL, Paderborn)

Die Rosenthals gehörten neben dem Paderborner Tischlermeister Franz Schwarzendahl zu den ersten Mühlenbesitzern im Kreis, die auf die Nutzung der Wasserkraft zur Stromerzeugung setzten. 1897 ließen die Rosenthals ihre Wohn-, Arbeits- und Lagerräume in den Neuhäuser Mühlenwerken elektrisch beleuchten.[9] Im Jahr 1902 wurden an der „Weizenmühle“ die veralteten Wasserräder abmontiert und durch eine 28 PS starke Turbine ersetzt.[10] 1908 folgte die Modernisierung der „Roggenmühle“ durch den Einbau einer 58 PS-Turbine.[11] Um die Wasserzufuhr im Ort selbst zu sichern, wurde 1913 die Müllerei in der vorgelagerten Walkmühle eingestellt und deren Wasserrad demontiert.

Neuhaus, ehemalige Walkmühle, 1926 (Stadt- und KreisA Pb, Foto Paul Michels, S-M4)
Neuhaus, ehemalige Walkmühle, 1926 (Stadt- und KreisA Pb, Foto Paul Michels, S-M4)

Im Jahr 1936 kauften die Herren Schöningh und Hovestadt die Neuhäuser Mühlenwerke auf.[12] Diese überstanden jedoch den schweren Granatbeschuss im Frühjahr 1945 nicht unbeschadet. Zudem sei die „Weizenmühle“ beim Einmarsch der Alliierten durch Granatbeschuss vollständig zerstört worden; nach dem Krieg wurde sie nicht wieder aufgebaut.[13] Auf der ehemaligen Mühlenstätte errichtete man stattdessen ein hohes, kastenförmiges Silogebäude, welches das Neuhäuser Ortsbild fortan prägen sollte.[14] Die ebenfalls kriegsbeschädigte „Roggenmühle“ wurde hingegen zusammen mit einem Lager- und Bürogebäude an alter Stelle wiedererrichtet.[15] Mahlwerk und Antrieb der Roggenmühle modernisierte man durch neue Turbinentechnik in den Jahren 1951 und 1966. Im Jahr 1967 fiel die markante „Mühlenenge“ an der Schloßstraße samt dem Scherpelschen Haus schließlich einer Straßenverbreiterung zum Opfer.[16]

[1] Zur Geschichte von Haus und Familie Scherpel vgl. Santel, Georg G: „vornehm einfach – eingeschossig massiv“. Zur Baugeschichte des Hauses Scherpel in der Schloßstraße in Schloß Neuhaus, in: Die Residenz 52/122 (2012), S. 39-57.

[2] Vgl. Bericht des landrätlichen Kommissars zur Mühlen an die Bezirksregierung Minden zur „projektierten Mühlenanlage des Sander zu Neuhaus“, 10. Sep. 1849. LA Detmold, M 1 I U, Nr. 660, unfol.

[3] Vgl. u. a. Bericht und Gutachten des königlichen Bauinspektors an die Bezirksregierung Minden, 6. Apr. 1853. LA Detmold, M 1 I U, Nr. 660, unfol.

[4] Vgl. „Eingabe der Eingesessenen zu Neuhaus“, 22. Mai 1852 sowie „Gesuch der Bäkermeister“ an die Bezirksregierung Minden, 21. Mai 1852. LA Detmold, M 1 I U, Nr. 660, unfol.

[5] Vgl. Urteil mit Begründung der Königlichen Generalkommission vom 28. Okt. 1870, StadtA Pb, A 3323, fol. 168v.

[6] Vgl. Art. 208, Mutterrolle, Bd. 1 (1867), LA Detmold M 5 C, Nr. 5371.

[7] Vgl. Middeke, Bild der Heimat, S. 7.

[8] Freundlicher Hinweis von Herrn Gregor G. Santel, November 2019. Vgl. entsprechenden Zeitungsausschnitt in der „Neuen Westfälischen“, 16./17. Aug. 2003.

[9] Vgl. Hüser, Von der Reichsgründung, S. 122f.

[10] Vgl. Middeke, Bild der Heimat, S. 7.

[11] Vgl. Schäfers, Standorte, S. 84f.

[12] Vgl. Middeke, Bild der Heimat, S. 7.

[13] Vgl. Schäfers, Standorte, S. 87f.

[14] Vgl. u. a. Luftaufnahme aus dem Jahr 1962, StadtA Pb, M5-20, Nr. 127.

[15] Vgl. Middeke, Bild der Heimat, S. 1.

[16] Vgl. Santel, Baugeschichte des Hauses Scherpel, S. 56; Middeke, Bild der Heimat, S. 1f.

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Dies ist ein Auszug aus einem Aufsatz des Historikers Prof. Dr. Michael Ströhmer. Der Originaltitel des Aufsatzes lautet: "Wirtschaftsregion Pader - Eine geschichtswissenschaftliche Skizze (1350-1950)". Sollten Sie weiteres Interesse an der Wirtschaftsgeschichte der Pader haben, empfehlen wir Ihnen den vollständigen Aufsatz (PDF-Datei) herunterzuladen.

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